Ganz oben angekommen…

Das „Kellerduell“ ist gespielt. Borussia Dortmund hat in Augsburg gewonnen. Damit schaut der FCA weiterhin von ganz unten auf die Tabelle, und der BVB hat sich dorthin verabschiedet, wo man ihn eher sucht, in die obere Tabellenhälfte. In Augsburg dagegen ist man nun endgültig in der Krise angekommen. Durchs Stadion schallten „Weinzierl-Raus“-Rufe, die Mannschaft musste auf Rücksitzen von Privat-PKW aus dem Stadion geschmuggelt werden, der Augsburger Rathausplatz gleicht nach den schlimmsten Ausschreitungen seit Nicht-Erreichen der Euro-League-Qualifikation in der Vorsaison erneut einem Kriegsschauplatz. Quo vadis, FC Augsburg. 

Das ist natürlich alles Quatsch. In Augsburg ist es auch nach der zweiten Niederlage in dieser Saison ruhig wie immer. Wer hier ernsthaft den Trainer anzweifelt, bringt sich höchstens in den Verdacht, deutlich mehr Riegele-Bier zu sich genommen zu haben als ihm guttut. Aber trotzdem habe ich den Eindruck, dass sich etwas verändert hat im Fußballparadies Augsburg. 

Sollte ich hier einiges zu weich zeichnen oder zu sehr glorifizieren, verzeiht es mir bitte – ich kann die rot-grün-weiße Brille einfach nicht absetzen um den FCA oder etwas, was mit ihm zu tun hat, objektiv zu betrachten. 

Das Verhältnis zwischen Fans und FCA ist seit langer Zeit eine ganz große Liebesgeschichte. Alles andere wäre nach den letzten Jahren ja auch wirklich seltsam. Seit Jos Luhukay den Trainerposten übernommen hat, gab es kaum einen Tag, an dem FCA-Fan zu sein nicht uneingeschränkt großartig war. Das zeigte sich vor allem darin, dass ich die Gelegenheiten, zu denen die Mannschaft oder einzelne Spieler in Augsburg ausgepfiffen wurden oder der Support der Fans mich nicht begeistert hätte, an einer Hand abzählen kann. Es ist passiert, aber die Regel ist: Es wird nicht gepfiffen, auch wenn die Mannschaft schlecht spielt, und es wird bis zum Abpfiff angefeuert, als ginge es um Leben und Tod. 

Aber der Erfolg verändert die Dinge. Das ging natürlich bereits los, als absehbar war, dass der Traum vom Aufstieg in die erste Bundesliga tatsächlich wahr werden könnte – bereits da gab es vereinzelt die ewigen Traineraspiranten, die es besser wussten als die Verantwortlichen. Meistens waren sie älteren Semesters und erweckten den Eindruck, sie wären bei der Verteilung des Fußballsachverstands gerade beim Bierholen gewesen. Aber selbst als die erste Saison in der Bundesliga so lief als wäre es auch direkt die letzte des FCA, waren doch stets diejenigen lauter, die realistisch die Möglichkeiten des Vereins einschätzten und wussten: Jeder Ballgewinn, jede Ecke, jedes Tor, jeder Punkt war ein Geschenk des Fußballsgottes, das es zu bejubeln galt. Da wäre also keiner auf die Idee gekommen, nach einem misslungenen Pass zu pfeifen. 

Dazu kommt, dass die Kurve des FCA es trotz der kurzen Geschichte der SGL-Arena geschafft hat, sich einen gewissen Ruf zu erarbeiten. Ich möchte nicht prahlen, aber die FAZ verlieh dem Stadion bereits in der ersten Erstliga-Saison den Titel „Anfield Road der Bundesliga“, das muss schließlich irgendwoher kommen. Und ich bilde mir ein in einem Interview mit einem BVB-Spieler vor einiger Zeit gelesen zu haben, die beste Stimmung bei einem Auswärtsspiel habe er in Augsburg erlebt – das lag sicher nicht nur an den anwesenden schwarz-gelben Fans. 

Beim Spiel FCA-BVB am letzten Freitag fühlte es sich anders an. Nach dem nicht gerade glanzvollen Start des FCA (Pokal Aus in der ersten Runde, Niederlage am ersten Spieltag in Sinsheim) waren einige natürlich etwas ernüchtert. Die hatten gedacht, es ginge direkt da weiter wo wir letzte Saison aufgehört haben, und haben dabei übersehen, dass die Mannschaft an einigen zentralen Stellen neu zusammengesetzt wurde. Aber nachdem Markus Weinzierl derart mit Lob überschüttet wurde, hatten wohl manche erwartet, der Mann könne aus jeder Kneipenmannschaft einen Meister machen, und das innerhalb von wenigen Wochen. Nun, dem ist wohl nicht so.

Selbst Weinzierl ist nur ein Mensch und die ersten Auftritte des FCA belegen, dass einige Spieler mit dem Kopf, mindestens aber mit den Füßen, noch in der Sommerpause sind: Daniel Baier, sonst das Gehirn der Mannschaft, glänzt mit ungekannten Fehlpässen und Ballverlusten. Tobi Werner, der letzte Saison endlich angefangen hatte, höchst brauchbare Pässe vor und einige Bälle sogar ins Tor zu bringen, ist wieder in alte Chancentod-Zeiten zurückgefallen und wirkt darüber höchst frustriert. Halil Altintop dreht sich mehr um die eigene Achse als um den Ball und Jan-Ingwer Callsen Bracker läuft nicht nur seiner Form, sondern seinen Gegenspielern hinterher. Die Neuzugänge zeigen vielversprechende Ansätze, aber fügen sich noch nicht ganz ins System ein: Wenn Weinzierl Baba signalisiert: Angriff!!! spielt der vorsichtshalber erstmal nach hinten zu Marvin Hitz. 

Ja, „da fehlt noch die Selbstverständlichkeit“, sagt auch Stefan Reuter, und der kennt sich schließlich aus. Das erklärt auch, warum es am Freitag zur Halbzeit 0:2 stand, und das ohne, dass der BVB besondere Glanztaten vollbringen muss. Ein simpler Doppelpass und eine Ecke, und Augsburg geht gefühlt geschlagen in die Halbzeitpause. Und dann drangen Laute an mein Ohr, die ich nur gewohnt bin, wenn ein Gegenspieler sich nicht wie gewünscht verhält oder der Schiri nicht die Karte zeigt, die man erwartet: Pfiffe. Aus dem Augsburger Publikum. Hinter de Augsburger Mannschaft her. Ich gebe zu, ich war irritiert. Was war denn da los! Was hatten die erwartet, ein 5:0 zur Pause? 

Dazu kam eine für mich absurd lahme Stimmung angesichts eines Freitagabend-Flutlichtspiels „auf Augenhöhe“ in der Tabelle gegen den BVB. In meiner Erinnerung kochte es zu solchen Gelegenheiten auf den Rängen, aber am Freitag schaffte es der M-Block kaum, die angrenzenden Blöcke mitzureißen, geschweige denn die sitzenden Zuschauer. Über ein „Steht auf, wenn ihr für Augsburg seid“ hinaus hab ich da wenig gesehen. Und als die Jungs auf dem Rasen offensichtlich den Weg über die Mittellinie im eigenen Sechzehner suchten, beschränkte sich der Fanblock darauf, seine neuen Gesänge zu proben, die sich leider noch nicht bis in Block Q durchgesetzt haben. Mit dem Resultat, dass man meistens vor allem die Gästefans hörte, die verständlicherweise eine Fetzenparty feierten. 

In Halbzeit zwei änderte sich einiges, und nachdem zunächst die Mannschaft signalisierte „Wir sind hier noch nicht fertig“, wachte auch das Publikum auf und entwickelte eine gewisse Antriebskraft. Dass nach Bobadillas Anschlusstreffer plötzlich der Bär steppte auf den Rängen ist dann nicht weiter verwunderlich. Die zweite Hälfte versöhnt also weitgehend und lässt hoffen, dass der FCA der letzten Saison noch irgendwo drin steckt in Mannschaft und Fans, und bald wieder rauskommt. 

Ich für meinen Teil habe das nie bezweifelt, aber ich frage mich, ob der FCA und seine Anhänger in der vierten Bundesligasaison endlich voll angekommen sind im Oberhaus. Gefühlt sind die Flitterwochen vorbei, in denen kein Blatt Papier zwischen Mannschaft uns Fans passte, und die Meckerer werden lauter, die beleidigt sind, weil man einige der Leistungsträger der letzten Saison ziehen ließ, und die jedes Abschneiden des FCA unter den Euro-League-Quali-Plätzen als unverzeihliches Scheitern des ganzen Augsburger Traums begreifen werden. Auf dem Weg zurück in die Stadt nach dem Spiel hab ich schon wieder einige „Europapokal“-Gesänge gehört. Gerüchten zufolge gehört das dazu zum Erfolg: Man zieht auch Leute an, die Leistung für ihr Geld erwarten und im Fall einer drohenden Niederlage ab der 80. Minute Richtung Parkplatz verschwinden. Daran müssen wir uns wohl gewöhnen. 

In meinen Augen ist das einzige, was dem FCA auf dem Weg in die nächste Traumsaison ein Bein stellen könnte, eine übersteigerte Erwartungshaltung der Fans, die in der letzten Spielzeit keine Ausnahme, sondern eine Selbstverständlichkeit sehen und deswegen eine Unruhe schüren, die wir in Augsburg noch nie hatten und auch nicht brauchen können. Aber auf der anderen Seite ist der Augsburger an sich immer ein Schwätzer, frei nach dem Motto „Hauptsach d’Luft scheppert“, und dabei eigentlich ganz versöhnlich seinem Verein gegenüber eingestellt. 

Ich möchte zu bedenken geben: Das Heimspiel gegen Dortmund letzte Saison am ersten Spieltag ging 0:4 aus. Der FCA beendete die Saison auf Platz 8. Diesmal sah es aus, als würde sich alles wiederholen, und dann holte der FCA auf, in bekannter Art und Weise durch verbissenen Kampf und Leidenschaft. Wir stehen wie letzte Saison zu diesem Zeitpunkt ganz unten. Aber anders als damals wissen wir inzwischen, dass wir Hin- und Rückrunde können. Und unser Blick geht nach oben. Europa, wir kommen 😉

Nur der FCA!

Kristaldo

4 Gedanken zu “Ganz oben angekommen…

  1. Danke für die Einblicke in die Augsburger Fanseele….

    … denke du ziehst genau das richtige Fazit:
    Es sind inzwischen viele Menschen im Stadion, die man landläufig als Eventfans bezeichnet.
    Sie sind mit dem Erfolg erst zu Stadiongängern geworden und wollen unterhalten werden.

    Die richtige Fanbasis ist in den wenigsten Städten in der Lage, dass Stadion zu füllen. Ist auch in Köln nicht anders…

    Wird sicher eine schwere Saison für euch – denke schon das der ein oder andere im letzten Jahr sehr nah oder auch über seinen Leistungsgrenze gespielt hat.
    Aber ich hoffe und glaube ihr werdet das schaffen!

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  2. Als ich Deinen ersten Absatz zu lesen begann, dacht ich tatsächlich: „Spinnen die Augsburger?!“
    Ich kann es nicht erklären, aber ich mag diesen Verein. Es sei denn die Mannschaft tritt wie im letzten DFB-Pokalspiel gegen meinen FCB wieder gegen alles was RotWeisse Trikots anhat.
    Seit Walther Seinsch bei Euch das sagen hat geht es kontinuierlich aufwärts. Wenn ich das mit dem Jahn Regensburg vergleiche, der ziemlich zeitgleich angefangen hat sich neu zu strukturieren, liegen Welten dazwischen.
    Der Mann beweist, dass es auch Unternehmer gibt die in den Fußball Geld stecken ohne sich selbst damit ein Denkmal setzen zu wollen. Der es schafft die wichtigen Positionen mit den richtigen Leuten zu besetzen.
    Wie das mit Rettich gelaufen ist weiß ich nicht. Ob er tatsächlich „nur“ zum DFB wollte, damit er näher bei seiner Familie, oder weil das dann doch ein angenehmerer Posten ist, keine Ahnung.
    Jedenfalls kam in meiner Wahrnehmung schon Unverständnis und Protest auf, als mit Jos Luhukay der Vertrag nicht verlängert wurde. Stattdessen hat man einen Markus Weinzierl geholt, den außer man ist Hardcore-Bayernfan, oder aus Regensburg wirklich niemand gekannt hat. Über Markus Weinzierl müsste man ( also Du :-)) mal einen eigenen Beitrag schreiben, er hat es verdient! Das er nach der Vorrunde der ersten Saison in der Bundesliga nicht gleich entlassen worden ist, zeigt wie sehr die Verantwortlichen von hm überzeugt waren und sicher immer noch ünerzeugt sind.
    Dennoch ist man sich in Augsburg nicht zu Schade eigene Fehler einzugestehen und diese ziemlich schnell zu korrigieren. Siehe das Missverständnis auf dem Posten des Managers mit Jürgen Rollmann.

    Jetzt höre ich aber auf, das ist für einen Kommentar sowieso schon zu lang.
    Nur eines noch. Gräme Dich nicht wegen der Besserwisser und den Erfolgsfans, die hat jeder. Wir noch viel mehr und sogar die Süd im Westfalenstadion würde die Letztgenannten am liebsten draußen haben. Aber selbst Watzke und Co. haben erkannt, dass man die braucht um die Steher mit 7 Euro finanzieren zu können. Er sagt es nur nicht. Warum? Hmm!

    Servus,Fossi

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    • Danke schön! Keine Sorge, das Erfolgspublikum nehm ich einfach als Auszeichnung für den großartigen Augsburger Fußball. Da gräme ich mich nicht.
      Aber Markus Weinzierl bekommt sicherlich eine Laudatio von mir hier, sehr guter Vorschlag!

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