Das kurioseste Stadion der Liga

sv98Das Böllenfalltor, oder, wie es laut Sponsorenname mittlerweile heißt, das „Merck-Stadion am Böllenfalltor“, wirkt nicht nur wie aus der Zeit gefallen – es ist tatsächlich ein Stadion, das man wahlweise als „Ort für Fußballromantiker“ beschreiben könnte, oder als „Das meinen die doch nicht ernst, dort zu spielen, oder?“ Viele der Stehplätze bröckeln vor sich hin, es gibt überhaupt nur eine überdachte Tribüne, die Gegengerade ist mehr oder weniger „in den Hang“ hinein gebaut, und dass die Duschen gelegentlich kalt sind ging mittlerweile wohl durch die gesamte nationale Presse. Viele fragen sich aktuell: Darf Darmstadt da überhaupt Bundesliga spielen? Die Antwort: Ja.

Das überrascht, wohlgemerkt, auch einige Darmstädter, denn schon als vor einigen Monaten zumindest theoretisch mal die Frage im Raum stand, was denn passiert, sollten die Lilien tatsächlich aufsteigen (damals noch eine sehr, sehr theoretische Frage), lauteten die ersten Antworten: Dann müssen die Heimspiele wohl in Frankfurt oder Mainz ausgetragen werden. Mittlerweile aber ist das offizielle Okay der DFL eingetroffen: Die Lilien dürfen alle ihre Spiele zu Hause spielen. Mit einigen Auflagen. Nein, ich korrigiere: Mit sehr, sehr wenigen Auflagen.

Mehr Raum für die Journalisten

Diese Auflagen lauten vor allem: Auf der Haupttribüne müssen 50 weitere Presseplätze geschaffen werden. Und: Der Presseraum im Stadioninneren muss umziehen in einen größeren Raum. Und das war’s auch schon mehr oder weniger.

Tatsache. Die einzigen nennenswerten Auflagen, die die DFL diesem Unikum an Stadion gestellt hat, betreffen die Presseplätze. Nun muss man dazu sagen, dass Darmstadt bereits mit dem Aufstieg in die Zweite Liga sein Stadion hatte umbauen müssen. Vor einem Jahr musste der komplette Rasen entfernt werden, um eine Rasenheizung zu installieren. Dazu wurde ein überdachter Unterstand für Rollstuhlfahrer gebaut (vorher standen die Rollstühle ohne Überdachung am Spielfeldrand im Matsch) und die Toiletten wurden erweitert (bis 2014 gab es zum Beispiel im Gäste-Bereich nur ein paar Dixie-Häuser). Und aus den Holzbänken der Sitzplatztribüne wurden die üblichen Plastiksitze. Ja, richtig gelesen: Holzbänke. Die Art der Umbauten zum Zweitliga-Aufstieg macht vielleicht umso deutlicher, von welcher Art von Stadion wir beim Böllenfalltor sprechen: Es ist auch, trotz Umbauten, noch immer ziemlich „rustikal“. (Hüstel.)

Stehplätze, Stehplätze, Stehplätze!

Stolze drei Viertel der Plätze sind Stehplätze: Von den rund 16.000 Plätzen nämlich insgesamt 12.000 Plätze. Das ist zwar immer noch nur die Hälfte der Dortmunder „gelben Wand“, aber was den prozentualen Anteil der Stehplätze angeht, dürfte das Böllenfalltor sämtliche anderen Stadien der Bundesliga um Länden schlagen. Darauf sind die Lilien-Fans wohlgemerkt auch stolz. Bei den aktuellen Diskussionen um den Stadion-Neubau, der prinzipziell bereits beschlossen ist, (sich wegen umfangreicher Genehmigungsverfahren aber hinzieht und erst zur Saison 2017/18 einzugsfertig sein soll,) wird vor allem von Seiten der Fans auch immer wieder ins Spiel gebracht, dass eine möglichst große Zahl an Stehplätzen erhalten bleiben soll. Der Neubau, wohlgemerkt, plant aktuell mit insgesamt nur 18.000 Plätzen. Es handelt sich also nur um eine unwesentliche Vergrößerung, sondern tatsächlich vor allem um eine Modernisierung. Etwa 27 Millionen werden dafür aktuell an Kosten erwartet, die Stadt Darmstadt will 14 Millionen übernehmen. Die Fernsehgelder der Ersten Liga sollten in jedem Fall ein warmer Regen für das Projekt und den (übrigens schuldenfreien!) Club sein. (Man darf das an dieser Stelle gerne noch einmal betonen: Bei Darmstadt handelt es sich um einen schuldenfreien, solide geführten Verein, der mit dem kleinsten Budget der Zweiten Liga den Durchmarsch geschafft hat. Das ist mindestens so verrückt und aus der Zeit gefallen, wie das Böllenfalltor).

Die Stehplätze sind übrigens alle derzeit nicht überdacht. Warum das eine Rolle spielt? Weil es die Fußball-Liga vor ein völlig unerwartetes Problem stellt: Ab der kommenden Saison soll ja bekanntlich, wir erinnern uns alle, die vieldiskutierte Torlinientechnologie in den Stadien Einzug halten. Für „Hawkeye“ müssen aber rundum Kameras installiert werden. Normalerweise am Stadiondach.

Wohin mit „Hawkeye“?

Mh. Was macht man nun, wenn kein Stadiondach vorhanden ist? Oder nur ein einziges Dach über der Haupttribüne? Zum Glück für die Lilien gibt es offenbar auch dafür eine Antwort: Voraussichtlich werden die Kameras an den Flutlichtmasten befestigt, oder es müssen extra eigene Masten aufgestellt werden. Die Flutlichtanlage übrigens stammt in ihren Grundzügen noch aus dem Jahr 1981, aus der Zeit des letzten Bundesliga-Aufstiegs der Lilien. Damals wurden die letzten wirklich gravierenden Änderungen am Stadion vorgenommen: Das Böllenfalltor wurde auf 30.000 Plätze erweitert und die (damals) schicken Fluter installiert. Eine Investition, die sich rächen sollte, weil sich der Verein mit nur einem Jahr Bundesliga daran überhob. Das zumindest scheint diesmal weitgehend ausgeschlossen: Die Torlinientechnik kostet 135.000 Euro. Das sollte finanziell machbar sein. Und der Rest… naja, wie gesagt: Es müssen ein paar mehr Presseplätze her.

Eines ist schon mal sicher: „Das Bölle“ wird für einige Mannschaften und einige Gästefans auf jeden Fall ein ganz, ganz besonderes Erlebnis in der kommenden Bundesliga-Saison werden.

Ein Gedanke zu “Das kurioseste Stadion der Liga

  1. Stark! Ich war Anfang Mai beim Spiel Darmstadt-Kaiserslautern und ich war überrascht vom Böllenfalltor. Den „Stadionumlauf“ vom Gästebereich vor zur Haupttribüne gibt es nur als Trampelpfad-Ausführung quer durch den Wald, das Stadion ist tatsächlich teilweise in den Hang gebaut und der Presseraum befand sich direkt neben der Gästekabine – wer also zur Pressekonferenz wollte, musste an der Tür der Gastmannschaft vorbei. Aber gerade das hat dem Böllenfalltor einen sehr old-school-artigen Flair verpasst und irgendwie freut es mich, dass Darmstadt als – wie es hier beschrieben wird – solide geführter Verein in die Bundesliga marschiert und damit auch stadiontechnisch eine Abwechslung im Spielplan darstellen wird. Und wer weiß, vielleicht ist das etwas in die Jahre gekommene „Bölle“ gerade deshalb ein Vorteil für den SVD.

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