Jean-Luc entdeckt Darmstadt 98

sv98 Ich bin ja prinzipiell der Meinung, dass es eine sinnvolle Idee ist, den Fußballclub am aktuellen Wohnort zu unterstützen, oder ihm wenigstens sympathisch gewogen zu sein. Egal, welche Liga. Solange man nicht in einer völlig seltsamen Stadt wohnt, sollte das bei gewisser Fußballbegeisterung auch völlig automatisch der Fall sein. Insofern: Ich bin und bleibe Freiburg-Fan. Aber ich wohne seit kurzem in Darmstadt. Und entdecke damit plötzlich einen Verein, vom dem ich, offen gestanden, vor einem Jahr wohl nicht mal genau hätte sagen können, in welcher Liga er spielt.

Insofern sind meine kommenden Blog-Beiträge über Darmstadt nicht die Beiträge eines Fans, der seinen Verein seit Jahren kennt, begleitet und dessen tiefste Geheimnisse kennt. Sondern es sind die Beiträge eines Fußballbegeisterten, der, ganz im Gegenteil, den Verein überhaupt nicht kennt.

Und insofern die Einladung an alle Leser, ihn gemeinsam zu entdecken.

Der Aufstiegskrimi

Ich bin wohl nicht der erste, der Darmstadt diese Saison „entdeckt“ hat. Darmstadt hat spätestens mit seinem Relegationsknaller gegen Bielefeld alles dafür getan, um flächendeckend entdeckt zu werden. Für alle diejenigen, die sich nicht für Relegation interessieren, oder im Mai schon im Sommerurlaub waren, hier noch einmal die kurze Zusammenfassung: Drittliga-Team Darmstadt verliert im Relegationshinspiel zu Hause mit 1:3 gegen die Zweitligamannschaft aus Bielefeld. Nun ist Bielfeld nicht irgend ein Verein, und Darmstadt, wohlgemerkt, hätte gerade mal ein Jahr zuvor noch aus der Dritten Liga absteigen müssen, wenn die Kickers aus Offenbach sich nicht aufgrund von Lizenzschwierigkeiten vorbeigedrängelt hätten. Insofern war nach dem Hinspiel klar: Aufstiegstraum, ade!

Dann schießt Darmstadt in Bielefeld das erste Tor. Und das zweite Tor. Plötzlich, zur 51. Minute, ist der SV aus Darmstadt tatsächlich Aufsteiger. Nur: So richtig glauben tut daran wohl immer noch niemand, und es dauert auch keine zwei Minuten, da ist alles beim Alten: Tor. 2:1. Bielefeld ist wieder Favorit.

Dann die 79. Minute: 3:1. Schuss aus gut 30 Metern, Winkel, Tor. Verlängerung. Glaubt man es denn? Darmstadt scheint tatsächlich dem Zweitligisten überlegen. Und es kommt noch besser. 110. Minute. Tor für Bielefeld. 3:2. Alles vorbei. Ade, Darmstadt. Oder? 122. (!!) Minute. Tor. Für Darmstadt. 4:2. Aufsteiger dank Auswärtstorregel. In der Nachspielzeit der Verlängerung. Nach 5:5 Toren aus zwei Spielen (Fürth und Hamburg machten ja gleichzeitig vor, dass Relegationsspiele auch deutlich weniger torreich enden können).

Der Underdog

Damit war dann auch klar: Die zweite Liga hat einen Underdog. Ein Winzlingsteam. Ein Team das, ich erwähnte es, ein Jahr zuvor kurz vor dem Absturz in die Viertklassigkeit stand. Das vor 21 Jahren zum letzten Mal Zweite Liga gespielt hat. Etat: Bislang zwei Millionen. In der Zweiten Liga „vielleicht etwas mehr“. Achso, und das Stadion ist eigentlich viel zu marode, um dort Zweitligafußball zeigen zu dürfen. Müsste renoviert werden. Oder noch schlimmer: Heimspiele in Frankfurt.

Zumindest das mit dem Stadion klärte sich dann. Kleinere Reparaturarbeiten ergaben gerade noch so die notwendige Lizenz. Kaderwert? Schlusslicht der Liga. Laut transfermarkt.de reden wir von weniger als 9 Millionen Euro, selbst Heidenheim und Aalen werfen mehr in die Waagschale. Und Platzhirsche wie Düsseldorf, Nürnberg und Fürth sogar das Dreifache (nämlich über 20 Millionen). Von den Gehältern gar nicht zu reden.

Nach vier Spieltagen hat sich Darmstadt bislang mehr als achtbar aus der Affäre gezogen: Platz 5, man höre und staune. Zwei Siege, zwei Unentschieden. „Ungeschlagen“.

Sachen, die man so lernt

Also: Was weiß denn Jean-Luc nun über Darmstadt?

  • Ich kann mittlerweile die Startelf grob aufzählen. Ähem. Mathenia, Gorka, Brégerie, Sirigu… ähm. Also so grob halt. Und natürlich den Torjäger. Den Fußballspieler mit dem vielleicht schönsten Doppelnamen der Zweiten Liga: Dominik Stroh-Engel. Vier Spiele. Vier Tore. Vergangene Saison: Drittliga-Torschützenkönig mit 23 Toren. Ein Mann, für den man Strohengel aufhängen möchte.
  • Die Darmstädter Fußballspieler heißen auch die „Lilien“. Das weiß man selbst, wenn man nicht in Darmstadt wohnt, es ist auch nicht sonderlich schwierig zu erraten, schließlich ist das Wappen eine Lilie. Alles in allem aber trotzdem einer der kreativeren Spitznamen der Bundesligawelt. Tiere (Löwen, Geißböcke, Adler) laufen, springen und fliegen ja so einige über die Plätze, genauso wie Menschen (Knappen, Rothosen und alte Damen). Blumen? Zumindest Seltenheitswert.
  • „Böllen“ sind Pappeln. Das „Stadion am Böllenfalltor“ ist also ein Stadion, das in der Nähe des Stadttores stand, von Pappeln umgeben. Wie schon Marlene Dietrich sang: „An der Pappel, an dem großen Tor.“ Im Zuge des Zweitliga-Aufstiegs entging das Stadion übrigens auch nicht der üblichen Sponsoren-Umbenennung und heißt seitdem „Merck-Stadion am Böllfenfalltor„. Immerhin durften die Böllen im Namen bleiben. Merck, wohlgemerkt, ist die größte Firma der Stadt. DAX-Konzern. 10 Milliarden Euro Umsatz. Kosten für den Stadionnamen? 300.000 Euro im Jahr. Schnäppchen.
  • Aufstiegs-Heiliger und 4:2-Siegtorschütze Elton da Costa spielt mittlerweile nicht mehr bei den Lilien. Sein Vertrag wurde nicht verlängert. Ich meine, okay, der Mann ist 34, aber trotzdem. Aufstiegs-Heiliger! Ts, ts. Da Costa spielt jetzt beim 1. FCA Darmstadt. Verbandsliga. Entdeckt wurde Da Costa übrigens zu seiner Augsburger Zeit von einem gewissen Jos Luhukay. Der hätte ihn bestimmt nicht in die Verbandsliga ziehen lassen. (Nach Berlin geholt hat er ihn allerdings auch nicht).
  • Darmstadt spielte mal von 1978 bis 1982 in der Bundesliga. Teil des Teams damals: Ein später berühmter Koreaner namens Bum-Kun Cha. Gegründet wurde Darmstadt 98 wie der Name schon sagt 1898, und damit ein Jahr vor 1899 Hoffenheim. Darmstadt ist also Traditionsverein. Wisst ihr bescheid.

Der Rest an Wissen ist noch etwas schummerig. Aber das kommt bestimmt alles noch. Ich freue mich jedenfalls auf eine gemeinsame Saison mit dem SV Darmstadt 98. Und Böllen.

4 Gedanken zu “Jean-Luc entdeckt Darmstadt 98

  1. Guter Artikel, gefällt mir! Meine Partnerin studiert in Darmstadt und ich war an dem Tag des Aufstiegs zufällig in DA. Ich war wirklich beeindruckt von der Party und der Euphorie in der Innenstadt. Hätte ich nicht gedacht das dort solch eine begeisterung für 98 herrscht.

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  2. Freue mich sehr, weitere Artikel über die Lilien zu lesen und den Verein kennen zu lernen.
    Wohne schon länger im Rhein-Main-Gebiet und habe schon zwangsläufig die Frankfurter Eintracht, sowie über Freunde die Kickers aus Offenbach und den FSV Frankfurt etwas kennen gelernt.

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